Unser Garten - Impressionen
Es ist Herbst, früh am Morgen, als ich durch das geschlossene Fenster in unseren grauen, dunstigen Garten schaue. Der Himmel zeigt sich wolkenverhangen, das Licht ist milchig trüb. Viele der Sträucher und Bäume haben ihre Blätter schon verloren. Sie liegen still am Boden. Auch zwei schwarze Rabenkrähen sitzen still auf einem Ast des Kirschbaums. Still. Ganz still. Nichts regt sich. Unser Garten schweigt. Mir ist kalt.
Ich schließe die Augen. Folgende Szene kommt mir in den Sinn:
Es war ein Sonntag im Mai, frühmorgens, als ich das Fenster öffnete, und in unseren Garten sah. Nachts hatte es anscheinend geregnet, denn leicht feuchte, angenehm frische Luft strömte mir entgegen. Ich richtete mich auf, atmete tief ein und aus. Entspannung machte sich in mir breit. Es duftete nach Erde und Gras, frisch, nach Grün. Vielleicht, weil alles, was ich sah und wahrnahm, in großer Fülle und in allen erdenklichen Grüntönen schimmerte, glitzerte und perlte. Wie Prosecco-Perlen? Ein wunderschönes Farbspiel, das Heiterkeit vermittelte. Ein Geschenk, das ich dankbar annahm und das mich an eine Theaterkulisse erinnerte. Vor meinem geistigen Auge sah ich festlich gekleidete Schauspieler, die mit einem Glas perlendem Prosecco in der Hand über die Bühne flanierten. Schon jetzt, freute ich mich auf den nächsten Theaterbesuch, weil ich ihn genießen würde, und überlegte: Wie kann ich diesen Tag begrüßen, genießen? Sollte ich vielleicht hinausgehen, um alles, jedes noch so kleine, grüne Wunder wahrzunehmen, und eintauchen in diese schillernde Atmosphäre?
Es blieb nicht bei dieser reizvollen Vorstellung. Trotz der frühen Stunde schlenderte ich mit einem Glas perlendem Prosecco in der Hand durch unseren Garten und ließ mich von dieser prickelnden, grünen Frische, die in der Morgensonne in vielen, kleinen Prosecco-Perlen leuchtete, berauschen.
Diese schöne Erinnerung wird schwächer, geht verloren. Ich öffne meine Augen, nehme mir Zeit und schaue jetzt sehr viel genauer, durch das geschlossene Fenster in unseren Garten. Er hat sich scheinbar in eine geheimnisvoll anmutende Idylle, die eine wohltuende Ruhe ausstrahlt, verwandelt. Die beklemmende Stille ist gewichen, denn alles, was ich wahrnehme, ist in Bewegung. Die Rabenkrähen hüpfen auf einem Ast des Kirschbaums hin und her, und ein leichter Windhauch, verweht, die am Boden liegenden Blätter. Auch das dunstige Licht wabert, und schimmert in vielen Facetten. Viele Wolken, in farbigem Grau, ziehen am Himmel leicht dahin. Alles wirkt mystisch, zauberhaft, und erinnert mich an Szenen in meinem Märchenbuch. Als Kind habe ich diese fantasievollen Geschichten geliebt. Heute Nachmittag werde ich mir viel Zeit nehmen, um mal wieder darin zu lesen. Sehr gemütlich, mit Tee und Keksen. Begriffe, wie „Gemütsruhe“ und „Entschleunigung“ kommen mir in den Sinn. Worte und Gedanken, die ich schon länger nicht mehr gelebt habe.