..., könnte sein, vielleicht?!
Es ist kurz vor siebzehn Uhr. Gleich beginnt der Bilder-Dialog, auf den ich mich schon seit Langem freue. Prämierte Werke einer Malerin sollen vorgestellt und besprochen werden. Die Moderation hat eine andere bekannte Künstlerin inne.
Als ich den Veranstaltungsraum betrete, er ist groß und wunderschön mit Blumen geschmückt, umfängt mich hochsommerliche Hitze. Viele Menschen haben ihren Platz schon auf Bänken und Stühlen gefunden. Stimmengewirr und leises Lachen sind zu hören. Jetzt öffnet jemand die zwei großen Eingangstüren, und ein leichter Windhauch ist spürbar. Die drückende Schwüle kann entweichen. Allgemeines Aufatmen: endlich. Das tut gut. Einige der Besucherinnen nutzen einen Handfächer und wedeln sich Luft zu. Karl Lagerfeld machte es einst auch den Herren vor. Den hier Anwesenden stehen momentan allerdings kleine Schweißperlen auf der Stirn. Die Atmosphäre ist entsprechend aufgeheizt und freudig erwartungsvoll. Eine leichte Spannung liegt in der Luft.
Warum fällt mir ein in der ersten Reihe sitzender Mann auf? Da ich in der Zweiten, leicht schräg hinter ihm, sitze, kann ich ihn gut sehen. Wer ist er, denke ich, der sie, die Moderatorin, unentwegt ansieht und anlächelt? Und nicht nur das. Er fotografiert sie. Ständig. Macht ein Handyfoto nach dem anderen. Auf dem Display kann ich sehen, dass er sie mitunter ganz nah heranzoomt. Ich muss lächeln. Anscheinend ist er so fasziniert von ihr, dass er nicht anders kann. Die große Menge an Fotos, die er macht, beeindruckt mich. Amüsiert mich ein wenig. Seine Absicht ist eindeutig: „Es“ soll ihr auffallen. Und „es“ fällt ihr auf. Hat er sein Ziel erreicht? Könnte sein. Eventuell die erste Etappe, denn sie sieht ihn nur gelegentlich an. Meist ist sie auf die Künstlerin fokussiert. Und wenn sie ihn ansieht, manchmal anlächelt, schüttelt sie leicht, kaum wahrnehmbar, den Kopf. Soll das heißen: „Es“ ist jetzt genug oder ich habe „es“ ausreichend bemerkt? Vielleicht. Könnte sein. Oder genießt sie „es“ doch? Vielleicht ist „es“ ihr auch unangenehm, denn da ist gleichzeitig ein leichtes Erröten zu sehen, was auch der Hitze geschuldet sein könnte. Wenn sie an ihm vorbeischaut, habe ich den Eindruck, dass sie „es“ bewusst macht. Lächelt sie dabei nach innen? Jedenfalls sieht sie glücklich aus.
Gelegentlich schaut sie aus dem Fenster. Weiß sie, dass ihr die Sonnenstrahlen ein zusätzliches Leuchten auf das Gesicht zaubern? Könnte sein. Ich denke: welch zauberhafte, durchaus erotische, prickelnde Atmosphäre. Eine Romanze? Wer weiß. Vielleicht. Wäre zu klären: Wer ist er? Vielleicht doch ihr Ehemann oder der Lebensabschnittsgefährte? Wenn das so wäre, hätte er bestimmt ein schlechtes Gewissen und etwas „gutzumachen“. Könnte sein. Oder ist er nur ein Verehrer oder ihr heimlicher Geliebter? Vielleicht. Jedenfalls ist seine Zuneigung und Interesse überaus deutlich zu sehen und gar zu hören? Ich muss lächeln, denn ich nehme ein leises Knistern wahr.
Wie schön, denke ich, und freue mich, diese intensive, für die zwei vielleicht bedeutsame Zeit mitzuerleben und spüre eine leichte Gänsehaut. Auf seinem Handydisplay sehe ich, dass er sie schon wieder heranzoomt. Er ist ein beharrlicher Mann, der weitermacht mit: Klick, klick, klick, … kurze Pause. Klick, klick, klick. Jetzt lächelt auch sie ihn kurz an, schaut aber gleich zu Boden. Ist da wieder ein leichtes Erröten zu sehen? Könnte sein.
Ja, es ist durchaus verständlich, dass er auf sich aufmerksam machen will, um sie zu beeindrucken, ist sie doch eine sehr beeindruckende, bemerkenswerte Frau, die routiniert und charmant einen Dialog mit der Künstlerin führt und parallel dazu einen magischen, romantischen mit ihm. Gegenseitige Anziehungskraft ist spürbar.
Ich überlege: Wie alt sind sie und er? Vielleicht so um die sechzig? Könnte sein. Oder sind die zwei doch erst sechzehn? Ich muss lächeln. Sollten die Lebensjahre keine Rolle spielen, wenn Liebe in der Luft liegt? Vielleicht. Könnte sein.
Aber zurück zur Frage: Wer ist er? Sie weiß es.
Und ich? Will ich es wirklich wissen? – Liebe ich doch Geheimnisse!