Wenn man(n) krank ist - Barbara Kaul

Barbara Kaul - Malerei, Zeichnungen, Plastiken, Gedichte, Kurzgeschichten
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Wenn man(n) krank ist



„Also, das war heute vielleicht wieder mal ein stressiger Tag! Zum Glück ist jetzt Wochenende und am Montag ist Stefan endlich wieder im Büro. Er ist mein wichtigster Mitarbeiter und eigentlich unverzichtbar. Wenn wichtige Leute ausfallen, dann wird es wirklich schwierig. Zum Glück habe ich ja eine robuste Gesundheit. Stefan hat sich bestimmt bei seiner Freundin, mit der er erst kürzlich zusammengezogen ist, angesteckt. Er hat sich nicht nur erkältet, nein, er hat sich eine richtige Grippe eingefangen und liegt nun mit Fieber im Bett. Ja, kranke Frauen sind ja besonders wehleidig, liebebedürftig und suchen ständig Trost und Nähe, anstatt auf Abstand zu gehen. Nun ja, sie sind noch jung, frischverliebt und Stefan hat ihr sicher gern den Gefallen getan.“ Mit diesen Sätzen begrüßte mein lieber Ernst die Familie am späten Freitagabend.

Am Samstag hatte er dann Niesanfälle, beklagte sich über Hals- und Gliederschmerzen und ging für seine Verhältnisse auch sehr früh ins Bett. Mitten in der Nacht weckte er mich mit: „Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Mir ist so kalt. Mach mir doch bitte mal einen heißen Tee und bring mir noch eine Decke.“ Ernst sah mich dabei mit einem wehleidigen Ausdruck in den Augen an. „Schatz, du siehst aber auch wirklich gar nicht gut aus. Ich hole erst mal das Fieberthermometer und dann alles andere. Na ja, du hast dich ja auch sehr lange gestresst gefühlt, da kann man schon mal krank werden“ und mit „Aber das wird schon wieder“, wollte ich ihn aufmuntern. Ernst daraufhin: „Hoffentlich, denn ich habe keine Zeit und überhaupt keine Lust, krank zu werden. Stress soll krank machen? Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Ich mir schon, dachte ich und begann mit meinem „Versorgungsprogramm“, welches sich in den nächsten Tagen noch steigern sollte.
Ich war für meinen lieben Ernst quasi permanent im Einsatz, denn er hatte sich wirklich eine richtige Grippe zugezogen. Es hätte Sinn gemacht, dauerhaft an seinem Bett sitzen zu bleiben, denn sein von ihm doch eigentlich belächelter Wunsch nach Trost und Nähe war sehr ausgeprägt. Es fielen Sätze wie: „Schatz mir ist so langweilig. Bleib doch auch mal ein bisschen länger bei mir.“ „Kochst du für mich eine gute Hühnersuppe? Ich hätte Lust drauf.“ „Schatz, der Tee ist kalt geworden. Mach mir doch bitte einen Frischen“ „Sag den Jungs, sie sollen die Musik leiser drehen. Bei dem Höllenlärm kann man ja nicht gesund werden. Schatz, unsere Kleine soll mir mal den „Kicker“, die „Wirtschaftswoche“ und das Kulturmagazin bringen“ u s w u s w. Ja, Ernst hatte die ganze Familie, einschließlich Großeltern, die selbstverständlich einen Krankenbesuch abstatten mussten, fest im Griff.
Ich lächelte, als ich hörte, als unser jüngerer Sohn zum großen Bruder sagte: „Also, wenn Mama ausfällt, weil sie sich angesteckt hat, dann ist Schluss mit der "guten Küche". Ernesto hat doch nichts weiter drauf, als "Strammer Max" und Tiefkühlpizza. Aber dafür ist er eine wahre Nervensäge. Den ganzen Tag verlangt er nach Mamas Nähe und Zuwendung. Den ganzen Tag plagt er sie mit: Schatz, hol mir doch bitte mal dieses oder jenes und dann noch das ewige „Händchenhalten“. Dass sie ihn nicht noch füttern muss, ist ein Wunder. Wenn das nicht Pflegestress pur ist! Warum erfüllt sie eigentlich all seine Wünsche?“ „Liebe?“, war von unserem Großen zu hören.

"Ernst, ich glaube, jetzt werde ich auch krank. Habe Hals - und Kopfschmerzen. Vielleicht hast du mich angesteckt oder es ist der Pflegestress“, ließ ich ihn wissen. Er nahm mich in den Arm und sagte: „Schatz, dass du dich krank fühlst, tut mir leid. Ich werde mich auf jeden Fall so gut, ich kann auch um dich kümmern. Danke, dass du mich so liebevoll mit allem versorgt hast. Weißt du, ich kann zwar nicht ganz so gut in Herzen sehen wie du, aber was auch ich gern gesehen habe“, Ernst schmunzelte jetzt „war, dass du so oft und gern meine Nähe gesucht hast. Sich dabei nicht anzustecken scheint schwierig zu sein, denn Pflegestress kann ganz sicher nicht der Grund für deine Hals- und Kopfschmerzen sein. Oder bin ich etwa kein absolut pflegeleichter Patient?“


Text wurde weitergeleitet an die Vereinsmitglieder der "Kunstfreunde Wetter" und andere lesebegeisterte Menschen

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